Charlotte und Hannah erhalten den Raabenschnabel. Sie sind damit die ersten Preisträgerinnen des neuen Literaturpreises der Wilhelm-Raabe-Schule.
„Herzensroh“ – das war das Stichwort, zu dem Schülerinnen und Schüler Ihre Texte verfassen konnten für den Literaturpreis „Raabenschnabel“, der von Herrn Egemann ins Leben gerufen und nun das erste Mal vergeben werden konnte. Die Siegerinnen kommen aus dem sechsten und aus dem elften Jahrgang: Charlotte von Holt und Hannah Freynhagen.
Auf dem Neujahrsempfang konnten Sie Ihren Preis aus den Händen des Bezirksbürgermeisters Südstadt – Bult, Lothar Pollähne, in Empfang nehmen.
Hier könnt Ihr die beiden Gewinner-Texte nachlesen:
Wintertage auf einer Bank
Mein Name ist Selina und ich bin 9 Jahre alt. Und ich will eine Geschichte erzählen. Also fang‘ ich einfach mal an. Ich habe viele Hobbys, aber vor allem mache viel Sport. Das will meine Mutter so. Sie will nämlich nicht das ich nur „rumsitze“ wie andere Kinder. Ich schwimme und reite. Außerdem mache ich Judo. Jeden Donnerstagnachmittag mache ich Training. Und wenn es vorbei ist, holt mich meine Mutter immer mit dem Auto ab. Denn es ist ziemlich kalt in dieser Jahreszeit. Es ist nämlich Winter.
Das Problem an meiner Mutter ist, dass sie wirklich immer zu spät kommt. Also mindestens 10 Minuten, aber meistens 20 Minuten. Deswegen sitze ich jeden Donnerstagnachmittag um viertel vor fünf vor meiner Trainingshalle auf einer Bank neben einem um diese Zeit ziemlich verlassenen Park. Das ist in etwa so langweilig, wie die ganze Zeit nur auf eine weiße Wand zu starren. Aber man hat eine Menge Zeit über Dinge nachzudenken. Über Weltprobleme, Gott und so. Papa nennt das philosophieren. Also saß ich da und dachte nach, als mein Blick auf die andere Straßenseite fiel. Da stand auch eine Bank. Auf ihr lag ein Mann. Er sah verwahrlost, schmutzig aus. Ich wusste, dass er kein Zuhause hatte. Er tat mir leid. Und bestimmt war ihm noch kälter als mir, was schon ein Wunder war. Mir war nämlich sehr kalt. Hunger hatte er auch. Vor der Bank stand nämlich ein Schild mit der Aufschrift „Ich habe Hunger“.
Aber dann fuhr unser schwarzer Sportwagen vor und versperrte mir die Sicht. Meine Mutter war da. Ich stieg ein. Meine Mutter fuhr mich an: „Man starrt nicht auf andere Leute, das ist unhöflich.“ Ich dachte noch lange darüber nach, warum man obdachlos war. Das hatte ja alles seine Gründe. Naja, ich saß also jede Woche auf dieser Bank. Und jede Woche war der Mann da. Einmal, als ich über die Entstehung der Menschheit nachdachte, ging ein Mann an dem Obdachlosen vorbei. Und ich konnte gut hören, was der fremde Mann sagte. Er zischte : „Bettler“ Und er spuckte vor die Bank. Auch von Weitem sah ich sein hassverzerrtes Gesicht, als er weiterging. Das verstand ich nicht. Was hatte der Obdachlose dem Mann getan? Nichts! Dieser Mann hatte sich nicht gut verhalten. Er war voller Hass. Aber lag es nicht einfach nur daran, dass er selber unglücklich war? Vielleicht fühlte er sich selbst so wie der Bettler. Aber nur vom Herzen. Darüber dachte ich auch noch länger nach.
Es wurde Woche für Woche kälter. Ich bekam Winterferien. Eines Donnerstagnachmittags war die Bank leer. Ich nahm an, oder ich hoffte, der Mann hatte sich irgendwo eine warme Unterkunft gesucht. Doch wissen tue ich es bis heute nicht.
(Charlotte von Holt, 6B)
Jung und herzensroh
Es wird so gesagt
wer jung ist ist dumm,
hat keine Erfahrung,
noch kein‘ Berg erklomm‘n
Es mag ja so sein,
nicht sehr viel Erfahrung
doch im Herzen rein
soll bloß keiner klagen
Nicht jeder ist gleich
Nicht jeder ist reich
an Einfühlsamkeit
Es gibt kein‘ Vergleich
Man lernt von einander
So sollte es sein
Zuhören und beraten
so nie mehr allein
Des Menschen Aufgabe
die Welt zu verstehen
Im Herzen noch roh
doch alles klar sehen
(Hannah Freynhagen, Jahrgang 11)