Herbert Arhold ist schon seit 61 Jahren Herr über hunderte Paar Holzschuhe
Die scharfe Duftmischung von Leder und Kleber weht einem entgegen, wenn man das Geschäft von Herbert Arhold betritt, welches er selbst nur als „Laden“ bezeichnet. Im Hintergrund hört man das laute Dröhnen einer bizarren Maschine aus blankem Metall mit unterschiedlichsten Arten von Schleifpapier-und Bürstenrollen. Sie übertönt die tiefe Stimme, die einem versichert, sofort für einen da zu sein. Das Brummen verklingt und aus der Werkstatt kommt ein älterer Herr mit blauem Kittel, sein warmherziges Lächeln lässt ihn jünger wirken, als er wirklich ist. Tatsächlich sieht sein Gesicht aus wie das eines 70-jährigen, nicht aber wie 85.
Die Werkstatt des Orthopädie-Schuhmachers mag für jeden Außenstehenden leicht chaotisch wirken, jedoch hat er seine eigene Ordnung, an der seit Jahrzehnten nichts mehr geändert wurde. Hinter einer weiteren Tür befindet sich ein kleines Büro, in dem Arhold seinen ganzen Papierkram, seine Bestellungen und Formalitäten erledigt. Das Betreten dieses Raumes weckt das Gefühl erschlagen zu werden, erschlagen –von Holzleisten, vielen maßgefertigten Schuhen aus Holz, die als Grundmodell für die endgültigen Arbeiten dienen. Herbert Arhold allerdings thront vor diesen Regalen wie ein König vor seinen Untertanen.
„Die steht schon vom ersten Tag an da“, erzählt Arhold mit Blick auf die scheinbar uralte Schreibmaschine auf dem von Blättern bedeckten Schreibtisch. Tatsächlich öffnete der Laden das erste Mal im Jahre 1953 unter der Leitung von Herbert Arhold seine Türen. In dieser Werkstatt stecken über 150 Jahre Geschichte. Schuhmacherei hat im Hause Arhold eine besondere Tradition, bereits der Urgroßvater war seit 1853 Schuhmacher, allerdings nicht spezialisiert auf Orthopädie und in einem kleinen Dorf 10km entfernt.
Anfang des 20. Jahrhunderts besaßen die meisten Menschen oft nur ein einziges Paar Schuhe, maschinell gefertigte gab es damals noch nicht, alles war mühsame Handarbeit. In Zeiten, in denen jeden zweiten Tag der Zalando-Mann klingelt, ist dies undenkbar. Mit den technischen Neuerungen nach dem Zweiten Weltkrieg wurden dann Schuhe vom Band für die Bevölkerung bezahlbar. Seitdem mussten Schuhe nicht mehr individuell vom Schuster angepasst und geschustert werden, sondern jeder konnte sie als Massenware in Schuhläden kaufen. Zu diesem Zeitpunkt empfahl sein Vater ihm, sich auf Orthopädie, also das Fertigen von Einlagen, Bandagen und speziellen Schuhen für Fußkranke, zu spezialisieren. Dieses Handwerk war damals sehr wichtig, da der Zweite Weltkrieg gerade beendet war und es viele Kriegsversehrte gab, denen geholfen werden musste. Verkrüppelte oder durch Schüsse verletzte Füße waren zu dieser Zeit keine Seltenheit.
Aber auch ohne Krieg hat Herbert Arhold keine Langeweile, immer noch geben sich bei ihm junge und alte Menschen die Klinke in die Hand, weil im wahrsten Sinne des Wortes der Schuh drückt oder sie aus anderen Gründen nicht richtig gehen können. „Inzwischen ist das Fußleiden immer mehr zum Kulturleiden geworden“, betont Arhold. Was mit Kulturleiden gemeint ist? – Laut dem Experten kaufen wir Schuhe nur noch aufgrund des modischen Aspektes, auf fußschonende Sohlen oder Absätze achtet heutzutage niemand mehr. Gerade deshalb spielt Orthopädie eine größere Rolle, als manch einer denken mag. Senk-, Spreiz- und Plattfuß sind nur wenige Beispiele für Schädigungen, die der Fuß durch falsches Schuhwerk davontragen kann. Aber auch Übergewicht und Durchblutungsstörungen können Ursache von derartigen Krankheiten am Fuß sein. Herbert Arhold hat selbst in seinem Alter damit keine Probleme, in seiner Freizeit geht er oft im Wald spazieren und im Winter langlaufen.
„Die Ausbildung zum Orthopädie-Schuhmacher ist gewiss kein Zuckerschlecken“, erzählt der 85- jährige weiter. Inzwischen übt er diesen Beruf seit 61 Jahren im eigenen Laden aus, was Urkunden an der kargen, hellgelben Wand der Werkstatt belegen. Da kommt es auch mal vor, dass Schuhe in Größe 53 vom Kunden gefordert werden. Sogar Schuhe für Hunde gingen bei ihm schon über die Ladentheke. Aber nach so langer Zeit ist für ihn auch die Aufgabe seiner Werkstatt ein Thema. Schon vor einigen Jahren hat er seinen Betrieb an einen jüngeren Schuhmacher verpachtet, allerdings weiter in seinem Geschäft gearbeitet um kein langweiliges Rentnerdasein zu führen, sondern eine Beschäftigung zu haben, mit der er obendrein noch Geld verdient.
Auf einmal durchschallt das schrille Klingeln des Telefons den Raum und Herr Arhold ist sofort wieder in seinem Element, Kunden stets freundlich und aufgeschlossen zu begegnen. Nachdem der Lieferant am Telefon wieder aufgelegt hat, ist alles wie vorher. Es scheint, als ob alle Tradition und das Handwerk von dieser Werkstatt aufgesogen und konserviert werden.
Diese Reportage ist entstanden im Rahmen des FAZ-Projektes, an welchem die ehemalige 10b teilgenommen hat.